MAKRO-Vortragsabend „Georgien nach der Wahl“

Zbigniew Brzeziński, Sicherheitsberater für mehrere US-Präsidenten und Professor für US-amerikanische Außenpolitik an der John Hopkins University, beschrieb in seinem Buch The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives im Jahr 1997 in etwa folgendes Konzept:
Amerika müsse die eurasische Landmasse beherrschen, wenn Amerika die einzige Supermacht der Erde sein wolle. Die eurasische Landmasse werde vor allem durchzogen von Interessenlinien in den Achsen Ost-West und Nord-Süd. Zu den Linien Ost-West zähle vor allem das Sicherheitsinteresse der Europäischen Union, das kongruent mit der Machtprojektion der USA sei, aber auch die Strategie der Seidenstraße aus der entgegengesetzten Richtung. China habe selbstverständlich auch ein Interesse, auf dem großen Schachbrett mitzuspielen. Zu den Linien Nord-Süd zähle die Achse Russland-Iran, aber auch das russische Engagement generell im Nahen Osten, aber auch in Afrika. Der Schnittpunkt dieser Linien liege dabei im Kaukasus.

Dieser große geopolitische Kontext bildete den Rahmen des Vortrags von Gabriela von Habsburg, der ehemaligen Botschafterin Georgiens in Berlin, den sie am 6. November in der Universität der Bundeswehr in Neubiberg hielt.

Die Veranstaltung war ein gemeinsames Projekt des Münchner Arbeitskreises Reserveoffiziere (MAKRO) und des Deutsch-Amerikanischen Arbeitskreises (DAA) der Universität der Bundeswehr.
Moderator des Abends war Frau Marisa Tan, Vorstand des DAA und Englischlehrer am Sprachzentrum der Uni Bw, den landeskundlichen Einführungskurzvortrag zu Georgien hielt Oberfähnrich d.R. Markus Heller, Vorstand des MAKRO.

Moderatorin Marisa Tan

Markus Heller beim Einführungskurzvortrag

Der Tenor des Vortrages von Frau von Habsburg lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die zivilgesellschaftliche Entwicklung Georgiens seit 2004 war geprägt von einem nie dagewesenen Aufschwung, der vom Ziel des Präsidenten Saakashvili getragen war, das Land in die Europäische Union zu führen. Um das Land auf diesen Weg zu bringen, wurden Zoll und Polizei grundlegend reformiert, eine unabhängige Antikorruptionsbehörde aufgebaut, der Drogenkonsum mit harten Maßnahmen unterbunden und mit der Unabhängigkeit der Gerichte Rechtssicherheit geschaffen. Diese Maßnahmen hatten zur Folge, daß das Ranking des Landes in der Liste von Transparency International um etwa hundert Plätze ansteigen konnte und fortan mit europäischen Ländern gleichauf lag. Die Folge war ein bemerkenswerter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt binnen kürzester Zeit.

Die Rede Putins 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz warf einen Schatten auf das Land. Seit dieser Zeit verfolgt die russische Führung die Strategie, auf alle Länder in unmittelbarer Nachbarschaft massiv Einfluß zu nehmen. Insbesondere Rechtsicherheit und Transparenz sollen seitdem geschwächt werden, um internationale Investitionen unattraktiv erscheinen zu lassen. Das Geschäftsmodell des Kreml basiert auf dem Prinzip, daß nur derjenige verlässlich wirtschaften darf, der sich dem Wort des Kreml-Führers unterwirft.

Einer derjenigen, die sich dem Wort Putins unterworfen haben, ist der georgische Milliardär Bidsina Ivanishvili, der 1,4 Prozent der Anteile von Gazprom und verschiedene anderer Firmen in Russland besitzt. Obwohl er nur ein Jahr Premierminister des Landes war, dominiert er seitdem die von ihm gegründete Partei „Georgischer Traum“ und hat auf diese Weise zahlreiche persönliche Abhängigkeiten geschaffen, und auf diesem Weg eine große Gefolgschaft aufgebaut.

Auf der Gegenseite gibt es mehrere kleinere Parteien, die vor allem von jüngeren georgischen Bürgern getragen werden, die über gute Verbindungen ins europäische oder amerikanische Ausland verfügen und die Vorzüge von Rechtsstaatlichkeit und Transparenz schätzen lernen konnten.

Die Auslandskontakte waren dann zuletzt auch der Angriffspunkt der Partei „Georgischer Traum“, indem ein Gesetz erlassen wurde, das zivilgesellschaftliche Organisationen mit einer Finanzierung von mehr als 20% an Kapital aus dem Ausland als „ausländische Agenten“ brandmarkte, und der behördlichen Willkür preisgab.

Die georgische Regierung entschied 2022, sich nicht an den Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine zu beteiligen, und akzeptierte bereitwillig den enormen Zuzug kapitalstarker russischer Staatsbürger, der eine hohe Inflation zur Folge hatte. Geldwäsche und Korruption verzeichnen seitdem einen deutlichen Zuwachs und führen das Land weiter in die Abhängigkeit von Russland. Auch die Praxis, über georgische Lieferwege die internationalen Sanktionen zu umgehen, wodurch Parteigänger des „Georgischen Traums“ große Vermögen anhäufen, zementieren den Wunsch nach mangelnder Transparenz und sichern die Unterstützung Ivanishvilis.

Die Wahl am 26. Oktober 2024 fand daher auch in einem Klima der Repression statt, bei dem Ivanishvilis Partei laut offiziellem Ergebnis 53,9% der Stimmen errang: Es wurden Wahlmaschinen eingesetzt, die sonst ausschließlich in den Staaten Venezuela und Weißrussland zum Einsatz kamen. Wahlzettel wurden so präpariert, daß sie von den Wahlmaschinen tendenziell zugunsten der Partei „Georgischer Traum“ ausgewertet wurden. Die Wahlhandlung in den Wahllokalen wurde häufig von Vertretern Ivanishvilis Partei gefilmt, und Auszählungen ergaben in mehreren Orten eine Wahlbeteiligung, die höher als die Anzahl der Einwohner der Orte war.

Diese offensichtliche Wahlmanipulation führte zuletzt zu Massenprotesten und starken Konflikten, bei denen in Tiflis hunderttausende Menschen auf die Straße gingen. Teilweise wurde entgegen erster Widerstände der Partei „Georgischer Traum“ einer Neu-Auszählung der Stimmen zugestimmt, wodurch jedoch das Ergebnis nicht entscheidend korrigiert werden konnte.

Die Referentin legte dar, daß die Wahl damit keinesfalls als „frei“ und häufig auch nicht als „geheim“  bezeichnet werden konnte. Wäre der Wahlkampf nach transparenten Regeln geführt worden, und wäre die Wahl nach westlichen Standards durchgeführt worden, so hätte sich mit Sicherheit ein Ergebnis ergeben, in dem Ivanishvilis Partei nicht die Mehrheit der Stimmen verbuchen hätte können. All die innenpolitischen Maßnahmen in Georgien haben das Ziel, das Land in das Herrschaftssystem Putins einzubetten, das Gefolgschaft belohnt und Rufe nach Rechtsstaatlichkeit sanktioniert.

Dennoch stellen die weiter gehenden Proteste hunderttausender Menschen ein Problem sowohl für die Partei Ivanishvilis, als auch für Moskau dar. Wie weit Putin versuchen wird, die westlich orientierten Bürger des Landes zu in ihren Freiheiten einzuschränken, ist indes unklar. Ein Einmarsch der russischen Armee ist aktuell wenig denkbar, solange der Krieg in der Ukraine fortdauert, könnte aber im Falle eines Waffenstillstands wieder auf der Tagesordnung stehen. Mögliche Reaktionen der Europäischen Union könnten darin bestehen, Ivanishvili und seine Parteigänger mit Sanktionen zu belegen, was aber eventuell durch Moskau-freundliche Staaten wie Ungarn unterlaufen werden könnte.

Aus diesem Grund besteht derzeit wenig Anlass zu Optimismus. Andererseits konnte Georgien bereits einmal demonstrieren, daß ein Weg in eine transparente und florierende Zukunft sehr schnell beschritten werden kann. Die eigene politische Kraft der Bürger muß in jedem Fall dadurch gestützt werden, daß Europa die Bedeutung der Kaukasus-Region für das eigene Wohlergehen erkennt: Die Analyse Brzezińskis gilt schließlich nicht nur für die amerikanische, sondern auch für die europäische Außenpolitik, die insbesondere in einer Zeit nachlassender amerikanischer Machtprojektion in Richtung Europa deren Lücke füllen muß, um Georgiens Bedürfnis nach einer politischen Schutzmacht gerecht zu werden, da in der Schwarzmeer- und Kaukasus-Region auch europäische Interessen berührt werden.

Zum Ende des Vortrages bedankte sich der MAKRO bei der Referentin durch seinen Vorstand Flottillenarzt d.R. Dr. Daniel Pohl. Es gab Blumen in Landesfarben und einer Flasche vom besten georgischen Wein.

MAKRO-Vorstand Dr. Daniel Pohl mit Frau von Habsburg

DAA-Vorstand Hauptmann Kratzer mit Frau von Habsburg

Die Vorstände von MAKRO und DAA mit der Referentin

Michael Herzog zu Mecklenburg und Gabriela von Habsburg

Beim anschließenden Geselligen Abend im Standortkasino konnten DAA- und MAKRO-Mitglieder Ihre Kaiserliche Hoheit Gabriela von Habsburg persönlich begegnen.

Geselliger Abend im Kasino


Fotos: MAKRO / Michael Scheller / Fromuth Heene


Eine Antwort zu “MAKRO-Vortragsabend „Georgien nach der Wahl“”
  • Tamara Okhrimenko 11. November 2024 at 14:27 Antworten

    Danke sehr, eine sehr gute Zusammenfassung der Lage!

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